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Datum:13.08.10
Titel:FAZ v. 12.08.2010: Die Katastrophe hat sich festgefressen
(Ist es doch die Sonne?)
Link:www.faz.net
Details1:Wie leicht neigen wir dazu, die Serie von Naturdesastern dieser Tage auf den Klimawandel zu schieben. Das ist verständlich, aber wohlfeil. Hören wir, was uns Forscher jetzt als Erklärung anbieten.
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Es ist mehr als eine Idee, aber ist das schon stichhaltig genug? Wissen wir endlich Genaueres über das, was Claus Kleber im "Heute-Journal" vor zwei Tagen noch listig orakelnd als die mögliche "Klammer" hinter der verheerenden Katastrophenwelle rund um den Globus zu finden versuchte? Sagen wir vorläufig einfach: Es ist eine Ahnung. Und es klingt, wenn es sich durch weitere wissenschaftliche Befunde belegen lässt, zumindest wie eine spannende These, die dem Katastrophenklatsch schon deshalb guttut, weil sie ein reges allgemeines Spekulationsbedürfnis rund um den Klimawandel klug bedient. Kurz gefasst lautet sie: Möglicherweise ist gar nicht in erster Linie der menschengemachte Treibhauseffekt die gemeinsame Wurzel der neuesten historischen Naturdesaster in Eurasien, sondern ein ungewöhnliches physikalisches Gebaren auf der Sonne mit den daraus resultierenden Veränderungen in den oberen Schichten unserer Atmosphäre.

Das ist, zugegeben, eine vage und sicher keine naheliegende Annahme. Leichter war es in den vergangenen Tagen, wie Kleber im Nachrichtenjournal einen einschlägigen Klimawandelspezialisten (in dem Fall dummerweise einen aus der größten Rückversicherung, die logischerweise gern vor dem Klimawandel warnt, weil sie gerne Klimaschutzpolicen verkauft) zu befragen und sich die auf den ersten Blick plausibelste Antwort abzuholen: Die von Treibhausgasen beschleunigte Erwärmung der Luft, das wissen wir aus diversen Klimasimulationen, forciert nicht nur Hitzewellen und Dürren wie gegenwärtig von Moskau bis nach Ostsibirien, sondern vermag auch den globalen Wasserkreislauf anzutreiben und könnte auf dem Weg für Sturzbäche vom Himmel und schlimme Überflutungen sorgen.

Die Ergebnisse der Computermodelle ließen sich also leicht mit den apokalyptischen Szenen am Bildschirm in Deckung bringen. Das Erwartbare wird durch Bilder gestützt. Der Haken dabei: Ein Zusammenkrachen von Kalamitäten, wie wir sie in diesen Tagen erleben, lässt sich mit der immer noch vergleichsweise moderaten Erwärmung in dieser Größenordnung nie und nimmer in Deckung bringen. Kommt vielleicht also alles noch schlimmer, wenn wir weiterwursteln und das Weltklima erst einmal richtig aus den Fugen gerät? Das könnte theoretisch eine Antwort sein. Wissenschaftlich gesprochen: Die Sensitivität ist größer als gedacht, Wetter und Klima reagieren empfindlicher auf die veränderte Atmosphäre, und so ist mit mehr oder noch intensiveren Extremereignissen zu rechnen.

An dieser Annahme gibt es zweierlei auszusetzen: Erstens gibt es derzeit keine überzeugenden Befunde, die zeigen, dass solche quasi selbstverschuldeten Extreme, seien es Hitzewellen, Überflutungen oder Stürme, über das langfristig ohnehin schon bedenkliche Maß hinaus bereits in der Gegenwart zu einem Megachaos führen könnten. Und zweitens lassen sich solche Thesen nicht einmal aus den düstersten Szenarien der Klimamodelle herauslesen. Ein ultrastabiles Hoch mit einer Hitzewelle wie seit Wochen über Moskau ist jedenfalls noch aus keinem Modell herausgekommen, sagt der Berliner Meteorologe Ulrich Cubasch. Ganz einfach deshalb, weil die Computer und Algorithmen für so kleinräumige Rechnungen nicht ausgelegt sind. Zusammengefasst: Die nun wieder vielfach vorgeführte Ursachenzuschreibung von extremen Wetterereignissen zum anthropogenen Klimawandel ist zwar gerade für Experten verlockend, die von dem Geschäft leben. Sie gilt aber jedenfalls unter den aufrichtigen, wägenden Ratgebern als mindestens leichtfertig.

Was also ist die Alternative? Und wenn ja, wollen wir sie überhaupt hören? Die Frage ist keine rhetorische, denn in den vergangenen Jahren hat sich in vielen Milieus, in den politischen wie den künstlerischen, mit Blick auf die Klimafrage und den Klimaschutz eine Kultur der festen inneren Überzeugung etabliert: Der Täter, das sind wir, der Mensch, ob es um das Weltklima, um abgebrochene Gletscherzungen oder um den Herbststurm geht. Und die Beweise zu unserer Entlastung, das stimmt ja auch, sind häufig wenig überzeugend oder erst gar nicht beizuschaffen - und scheiden damit als Grundlage fürs lockere Gespräch denn auch schnell aus.

Der Diskurs in der Wissenschaft weicht davon allerdings grundsätzlich ab. Er geht eher so, wie die Zeitschrift "New Scientist" das nun im Fall der jüngsten Naturkatastrophen vorführt. Gesucht werden, wenn das Unerklärliche fast nur mit Fragezeichen zu versehen ist, die nächstliegenden Antworten. Und hier kommt jener neue Erklärungsansatz britischer und amerikanischer Forscher ins Spiel, der zwar nicht so einfach zu erklären ist wie der Treibhauseffekt, aber einige elegante Wendungen enthält, die das Rätsel der verheerenden Wetterkapriolen erst so richtig spannend machen.

Ausgangspunkt ist die Beobachtung von sogenannten "blockierenden Wetterlagen", wie sie seit Wochen die Hitze über Osteuropa hochtreiben und den pausenlosen Monsunregen über einem großen Gebiet Pakistans und Nordindiens herunterprasseln lassen. Sie sind nichts Ungewöhnliches, ein immer mal wiederkehrendes Naturphänomen, besonders auf der Nordhalbkugel. Normalerweise müssen solche Zellen über kurz oder lang aber wieder weichen, und das Wetter ändert sich. Über Eurasien ist das offenbar nicht der Fall. Der Grund: Seit Wochen sind die als "Jet Streams" bekannten Starkwindströme in der oberen Atmosphäre, in mehr als sieben Kilometern Höhe, über diesen Regionen quasi wie festgefroren. Normalerweise blasen die Winde dort mit Hunderten Stundenkilometern und reißen auch darunterliegende Luftströme mit sich. Nicht so, wenn es zu "blockierenden Wetterlagen" kommt. Dann ist das Wetter darunter, so Cubasch, "wie festgefressen". Wie aber kommt es zu diesem gewaltigen Windstillstand da oben?

Die mögliche Antwort gibt Mike Lockwood von der University of Reading in einigen der angesehensten Fachzeitschriften. Lockwood hat erstaunliche Belege in historischen Wetteraufzeichnungen und Sonnenbeobachtungen gefunden, die nahelegen, dass die Blockade der Starkwinde in der Stratosphäre mit der Aktivität der Sonne zusammenhängt: Wird es im Laufe der üblichen Sonnenzyklen ruhig auf unserem Gestirn, strahlt sie also weniger, was sich durch extrem wenige Sonnenflecken schon beim Blick durchs Fernrohr ausweist, kommt es vermehrt zu solchen Blockaden. Im Winter, über Nordamerika und Eurasien ist der Zusammenhang eindeutig, aber aus dem Studium von dreihundertfünfzig Jahre langen Aufzeichnungen hat er auch Hinweise gesammelt, dass sich die Wetterblockaden ebenso im Sommer häufen. Die entscheidende Kopplung der Prozesse auf der Sonne mit der in der oberen Atmosphäre liegt demnach in der energiereichen Ultraviolettstrahlung. Strahlt die Sonne, wie in den aktivitätsarmen Phasen, weniger davon in den Weltraum, werden auch die oberen Luftschichten unserer Atmosphäre weniger aufgeheizt, die "Jet Streams" flauen ab und werden dann gelegentlich über Wochen von gegenläufigen Windströmen quasi neutralisiert. Die Megawinde stehen praktisch still.

Das Besondere und zugleich Rätselhafte an der aktuellen Situation ist, dass sich die Sonne seit zwei, drei Jahren von ihrem jüngsten Minimum offensichtlich gar nicht mehr richtig erholen will. Normalerweise wechseln sich recht zuverlässig in Zyklen von elf bis zwölf Jahren aktive mit ruhigen Phasen ab. Was die Sonne diesmal bremst, weiß so recht niemand. Der Treibhauseffekt auf der Erde zumindest scheidet als Ursache sicher aus. Allerdings darf spekuliert werden, was nun so ein möglicherweise dauerhaft strahlungslahmes Gestirn für die Zukunft unseres von Treibhausgasen entstellten Weltklimas bedeuten könnte.

JOACHIM MÜLLER-JUNG
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